Sonntag, 25. April 2010

The National - High Violet.



Am Anfang war der Zweifel. Lieblingsband zu bleiben ist bekanntermaßen um einiges schwerer als überhaupt Lieblingsband zu werden. Und so sind die unterbewussten Erwartungen an das neueste Werk von The National eigentlich gar nicht zu erfüllen. Zu groß scheint der Vorgänger „Boxer“, der sich auch 3 Jahre nach der Veröffentlichung weigert, irgendetwas von seiner Magie einzubüßen.
Die Vorzeichen stehen allerdings nicht schlecht. Nach der eher durchwachsenen EP „You´ve Done it again, Virginia“, ist das letzte Lebenszeichen der Band ein durchweg großartiges. „So Far Around the Bend“ stellt eines der vielen Highlights auf der Compilation „Dark was the night“ dar. Danach wird es ein Jahr ruhig um das Quintett aus Brooklyn. Die Band zieht sich zurück um ihr 5tes Album im eigenen Studio zu schreiben und aufzunehmen.
Getrieben werden sie dabei von ihrem schier unendlichen Perfektionismus. Immer wieder werden die Parts verändert, ganze Songs verworfen, bis alle zufrieden sind. The National leben von keinem genialen einzelnen Songwriter, sie leben von ihren Reibungen. Auf der einen Seite das Brüderpaar Dessner an den Gitarren, beide studierten Musik in Yale, auf der anderen Sänger Matt Berniger, der weder ein Instrument spielen, noch Noten lesen kann. Und es trotzdem durch sein außergewöhnliches Organ und seine poetischen Alltagsbeobachtungen schafft, der Musik eine völlig neue Dimension zu verleihen. Die Dessners sind die Theoretiker, Berniger das Herz.
Mittendrin ist die Erleichterung. Egal wie groß die Vorgängeralben waren, die 5 aus New York haben sich selbst übertroffen. Es gibt kein zweites „Fake Empire“, aber das Songwriting wirkt ausgefeilter, homogener und die Songs sind noch ein Stück näher zusammen gerückt. Dabei schafft die Platte den wahnsinnigen Spagat zwischen Pop und Kunst. Das hier ist immer noch keine Musik für ein Sonntagsnachmittagsradio.
Die Arrangements sind opulenter und intimer zugleich geworden. Überall schwingen Bläser, Streicher und Hintergrundchöre mit, ohne das Ganze überflüssig erscheinen zu lassen. Dessner sagt dazu, dass kein Instrument bloß als Zuckerglasur oben drauf gepackt wird, sondern seinen Sinn im Song erfüllen muss. Und tatsächlich wäre High Violet ein anderes Album, hätten The National ihre Angst vor dem Epischen nicht abgelegt.
Dazu: immer wieder diese Texte. Die Platte ist Bernigers lyrisch stärkste, weil konkreteste. Er beklagt den Sommer, lebt von Kaffee und Blumen und beobachtet verstört das Leben in New York. Dann denkt er darüber nach, dem Wahnsinn der Stadt zu entfliehen, nur um festzustellen, dass ein Zurück keine echte Alternative ist („Bloodbuzz Ohio“).  Überhaupt ist New York eine der großen Inspirationen seiner Texte. Sei es nun die Radio City Hall, die versinken soll oder das Tempo der Stadt, das es ihm schwer macht, Schritt zu halten.
„High Violet“ ist Musik ohne Ausfälle. Es ist ein Album, gemacht für Kopfhörer und geduldige Ohren und es wächst genau wie die Band auf natürlichem Wege kontinuierlich nach Oben. Wer sich die Zeit nimmt, entdeckt bei jedem Hördurchgang neue Facetten an den Songs, die auch einzeln ganz wunderbar funktionieren. Besonders stark werden sie allerdings im Kontext des Ganzen. Ein Hoch auf die Repeat Taste.
Am Ende steht die Verzweiflung. The National haben ein Stück Musik geschaffen, dem man mit Worten einfach nicht gerecht werden kann. Diese Formulierung mag in manchen Promotexten ein ausgeschlachtetes Klisché sein, hier ist sie längst überfällig. Auch „High Violet“ ist kein Album, das auf den ersten Blick jeden mitreißen wird. Wer entnervt von der Montonie in Bernigers Stimme, oder der wenig oberflächlichen Instrumentalisierung schon früh aufgeben möchte, Bitteschön. Alle anderen werden ein Wespennest voller epischer Melodien,  tiefgründiger Texte und großer Songs entdecken.
Als Anspieltipp sei jedem „Conversation 16“ ans Herz gelegt, der Song hat Lieblingsliedcharakter.
Die anderen zehn auch.
10/10