Donnerstag, 19. Mai 2011

Take a look at me now: Bon Iver - "Bon Iver".

I ain´t living in the dark no more.“
-"Beth/Rest" 

Wie macht man als Band nach einem Debüt wie „For Emma, forever ago“ weiter? Eine Platte, deren mystische Entstehungsgeschichte genauso beeindruckend war wie das musikalische Endergebnis. Gäbe es den Begriff „moderner Klassiker“ nicht bereits, für „For Emma“ hätte er erfunden werden müssen. Mit simplen, aber ausdrucksvollen Mitteln gelang es Justin Vernon damals seiner Trauer eine Dringlichkeit und Authentizität zu verleihen, die bis heute seines Gleichen sucht. Wie wird man so einem Album also gerecht? Wenn man klug ist versucht man es noch nicht einmal und Vernon weiß das auch.

In den letzten beiden Jahren war dieser ein viel beschäftigter Mann. Nach endlosem Touren auf nahezu jedem Kontinent dieses Planeten war es an der Zeit für den Mittzwanziger aus Wisconsin musikalisches Neuland zu betreten. Dazu gehörte neben der Experimentalrockband Volcano Choir und der Soul Supergroup Gayngs auch das Mitwirken auf dem letzten Kanye West Album. Den wohl prägnantesten Auftritt hatte er bei „Lost in the World“, einem Song, der auf Bon Ivers „Woods“ basiert und es bei weitem nicht schafft, der Intimität des Originals das Wasser zu reichen. All diese Einflüsse sind nicht spurlos am Kopf des Quartetts vorbeigegangen und finden sich nun auf dem mächtigen Zweitwerk seiner Hauptband wieder.

So beginnt alles mit „Perth“, einem monströsen Opener, der seine Stärke gerade aus dem unkonventionellen Songaufbau zieht und darüber hinaus die Marschrichtung des Albums vorgibt. Der einsame Junge mit der Gitarre ist nicht mehr derselbe, jeder Part strotzt vor Ambition und Abwechslung. Bon Iver bauen ihre Hooks nicht aus Wiederholung oder Vers-Refrain-Vers-Refrain Songmustern, der Teufel steckt im Detail. Erst mit mehren Durchläufen offenbart sich dem Hörer die verbissene Perfektion dieser Platte. Geschuldet ist dies nicht nur der vielschichtigen Instrumentalisierung, sondern auch Vernons Talent als Songschreiber und Produzent, der mit jedem neuen Leitmotiv eine Überraschung in der offenen Faust bereithält. „Minnesota, WI“ ist dafür ein gutes Beispiel, ein TV On The Radio ähnlicher Groove wird behutsam aufgebaut, bevor der Protagonist zu Banjo und Akustikgitarre jedes Lagerfeuer in Grund und Boden singt.

„Holocene“ ist der beste Song auf „Bon Iver, Bon Iver“ und zugleich der einzige Moment, in dem man seinem Schöpfer nicht trauen sollte, wenn er singt: „And once I knew, I was not magnificent“. Das Gegenteil ist hier der Fall. Nie war sein engelsgleiches Falsetto glanzvoller, seine Komposition ausgereifter und seine Mitstreiter versierter. Einmal mehr gelingt es ihm die Stille majestätisch zu orchestrieren. Dagegen wirkt das Gitarrenriff von „Towers“, einer der wenigen Songs, die keinen Ortsnamen im Titel tragen, fast schon plump. Trotzdem entwickelt sich auch dieser zu einem echten Grower und kriegt spätestens mit dem Einstieg der Bläser die Kurve.

„Michicant“ und „Wash.“ sind ihrem anfänglichen Zögern am ehesten mit dem Debüt zu vergleichen, auch wenn man einzelne Gitarrenakkorde hier vergeblich sucht. Vielmehr taumeln Saxophon und Fahrradklingel hinter einem verschleppten Drumbeat her.
Ein weiteres Highlight ist „Calgary“, die erste Singleauskopplung der Platte. Auch dieser Song funktioniert wunderbar ohne eine klare Hook, weil das ohnehin famose Grundgerüst so geschickt und gekonnt variiert wird, bis im Mittelteil alle Dämme brechen.

Was folgt ist ein kurzes instrumentales Interlude, das nahtlos in den Albumcloser übergeht, an dem sich vermutlich die meisten Geister scheiden werden. Um es kurz zu machen: „Beth/Rest“ ist eine 80er Powerballade, die selbst Phil Collins in seinen besten Tagen nicht besser hinbekommen hätte. Trotzdem funktioniert der Schlussakt mit seinem wabbrigen Keyboardpiano, dem cheesy Saxophon und dem verzerrten E-Gitarrensolo überraschend gut.

Der Grund hierfür liegt auf der Hand, denn auch dieser Song wird von Justin Vernon vorgetragen, dessen Stimme trotzt aller Versiertheit in Arrangement der eigentliche Höhepunkt ist. Obwohl die Lieder ein weites musikalisches Spektrum abdecken, ist es doch Vernons unverwechselbare Organ, das nahezu jedem Moment zu echter Größe verhilft. Dieser Nachfolger ist ohne Frage eine musikalische Weiterentwicklung zu „Emma“ geworden und trotzdem ist es noch immer ein klar erkennbares Bon Iver Album, das weder mit Ecken und Kanten noch mit einer selten erreichten Schönheit geizt.

Highlights: "Perth", "Holocene", "Michicant", "Calgary", "Beth/Rest"

9/10



"Bon Iver" erscheint am 17.6.11 und sollte unbedingt hier oder hier vorbestellt werden.

2 Kommentare:

  1. Bon Iver - ohne Synthies, aber mit Klavier.

    http://www.latenightwithjimmyfallon.com/video/Bon-Iver:-I-Can%27t-Make-You-Love-Me-%285/23/11%29/1329427

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  2. Bon Iver ist ein seltenes Beispiel, dass es noch Innovation in der Musik gibt.A.

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